Westdeutsche Zeitung vom 11. Mai 2002

Ritterspiele und Zechgelage
Szenen aus dem Burg-Alltag wurden auf Schloss Rheydt detailgetreu nachgebaut


Von Paulheinz Grupe

Zweitausendfünfhundert fingergroße, handbemalte Figuren spielen Mittelalter. Zu sehen sind Ritter und Knappen, Burgfräulein, Mägde, Knechte, Hand-werker, Gaukler und Musiker sowie Schweine, Pferde und Ochsen. Es wird gearbeitet, gekämpft, gegessen, getrunken und gefeiert. Der Betrachter kommt sich vor wie Gulliver bei den Zwergen und ist genauso wie der Riese von diesem Schauspiel gefesselt.
All dies ist zu bewundern in einer Aus-stellung, die sich "Der Donjon de Coucy" nennt und zurzeit im Schloss Rheydt in Mönchengladbach zu sehen ist. Das Ganze ist die naturgetreue Nachbildung der Burg, die zwischen 1226 und 1229 ,nordwestlich von Paris gebaut  wurde und zu dieser Zeit als die größte Burg des Abendlandes galt. "Donjon" - das ist der  Burg- oder Wohnturm, von denen es im mittelalterlichen  Frankreich Hunderte gab – der von Coucy war der Größte.
Im Modell ist er 2,40 Meter hoch, die Nachbildung der ganzen Anlage bedeckt eine Fläche von sechs mal sechs Metern. Die darauf gezeigten Spielszenen im Miniformat müssen als eine Art Zeitraffer begriffen  werden; draußen  vor  der   Burg

versuchen englische Söldner die Feste zu erobern, drinnen sieht man den Burgherrn in fröhlicher Gesellschaft. Die Soldaten verweilen einen fahrbaren "Eroberungsturm", der bis an die höchste Mauer reicht und der Fürst zecht fröhlich mit schönen Frauen.
Auf diese Art erhält der Zuschauer einen guten Überblick über die Lebens- und Arbeitsformen auf einer Burg im französischen Mittelalter. Der Wohnturm wurde aufgeschnitten wie ein Puppenhaus, so dass man die drei übereinander liegenden Säle mit ihren Stern-rippengewölben betrachten kann.
Rittersaal, Folterkeller, Küche und Schmiede - das alles ist naturgetreu nachgebildet - alles übrigens im Maßstab 1:25. Neben der Burg kann man sich an einem maßstabsgerechten Ritterturnier ergötzen, 600 handgefertigte Figuren agieren hier fast "lebensnah".
Zur Ausstellung gehören auch zahlreiche Schautafeln, die nicht nur die wechselvolle Baugeschichte der Burg sondern auch die historischen  Zusammenhänge vom Mittel-alter bis in die jüngste Zeit erläutern.
Der Erbauer der Burg, Enguerrand III. de Coucy, war einer der mächtigsten Männer seiner Zeit, was er auch durch die Größe
seines   Turms   dokumentierte.   Es  fehlte

ihm nicht an Selbstbewusstsein - er soll gesagt haben, er sei nicht König, Prinz, Herzog oder Graf, sondern eben der Herr von Coucy. In Schloss Rheydt geht es aber nicht allein um Ritterspiele und lieblich anzusehende Burgfräulein. "Donjon de Coucy" ist eine von vier Ausstellungseinheiten, die im Rahmen der "Euroga" das Thema "Krieg und Frieden" repräsentieren. Da kam den Planern die von der "Gesellschaft für Burgenkunde" in Aachen konzipierte Modellanlage gerade recht, denn die Originalburg ist nur noch in Resten vorhanden. Sie wurde im ersten Weltkrieg von deutschen Truppen in die Luft gejagt. Und so stellt das Modell nachdem Willen seiner Schöpfer auch ein kleines Stück Wiedergutmachung dar.
Es GIB e.V.t sogar eine deutsch-französische Initiative, die Original-Burg an alter Stelle wieder aufzubauen. Die ganze Anlage war so genau dokumentiert, dass sie an Hand von Detailzeichnungen sowie Fotografien rekonstruiert werden konnte; das Modell entspricht in allen Einzelheiten dem Original. Und ins Schloss Rheydt passt das einmalige Werk besonders gut, schließlich war das Schloss auch einmal eine Ritterburg, wie die von Coucy, nur ein ganz klein wenig kleiner.

2500 Figuren erwecken das Original-Modell der mittelalterlichen Burg von Coucy zum Leben.