Von oben schütten die Verteidiger siedendes
Öl auf die Männer, die tief unter ihnen den Eckturm unterminieren und aus
dem Gleichgewicht bringen wollen. Anno Domini 1339. Ein englisches Heer
von rund 15 000 Mann belagert im Nordwesten Frankreichs die Festung von
Coucy mit dem gewaltigsten Wehr- und Wohnturm (Donjon), der jemals im
Abendland gebaut worden ist. Zuschauer sind die Besucher im Museum Burg
Linn in Krefeld.
In der Schiffshalle, in der eigentlich schon der Karolinger-kahn
aus dem 8. Jhdt. anlegen sollte, steht ein sechs mal sechs Meter großes
Modell des Bollwerks im Maßstab 1:25, das Bernhard Siepen und seine
Freunde von der Gesellschaft für Internationale Burgenkunde Aachen zusammen mit zirka 2 400 Figürchen aufgebaut haben. Für die
"Vorstellung" reicht diese Zahl auch. Kein Breitwandfilm kann die
faszinierende Atmosphäre ersetzen, die den
Betrachter in
eine Zeit
vor 660 |
Jahren blicken lässt. Gerade die
Unbeweglichkeit der Szenerie vermittelt die Dimensionen zwischen den
Menschen und der Masse der aufgeschichteten Steine.
Baron Enguerrand III. hat auf seinem Besitz die Feste von 1223 bis 1225
errichten lassen, an dem sich - das sei vorweggenommen - die Engländer
115 Jahre später die Zähne ausbissen. Die Burg fiel nämlich erst 1917
unter der Detonation von 28 Tonnen Dynamit. Zurück ins Jahr 1339. Die
Angreifer vertrauen nicht nur der Kunst ihrer emsigen Wühl-mäuse.
Sie verfügen noch über ganz andere Mittel, die Mauern zu knacken und die
Bastion zu stürmen. Rammböcke schlagen gegen das Gemäuer, dessen Inneres
zementiertes Geröll ist. Triböcke und Mangen
schleudern Steine gegen und Kadaver
in die Burg, unzählige Salven von Pfeilen schwirren durch die Luft. Die
englischen Soldaten schieben mächtige Sturmtürme an die Mauern heran, um
die Wehrgänge zu entern.
Über Sturmleitern |
klimmen sie in schwindelnde Höhen und
stürzen mit den umgestoßenen Leitern in die Tiefe. Die Figuren sind stumm.
Dennoch vermeint man, das Geschrei der Verletzten und Sterbenden zu hören.
Die Franzosen sind gut gerüstet.
Ihnen kommt zugute, dass sie von oben kämpfen. Aber sie müssen mit dem
Vorrat an Nahrung und Munition haushalten. Es ist ris-kant,
ab und zu das Tor zu öffnen und über die Zugbrücke mit den Reitern einen
Ausfall zu wagen. Nur Wasser haben sie genug, um den Durst zu löschen und
die Feuer. Denn die Engländer kennen ebenfalls die Wirkung brennenden
Teers.
Das Modell zeigt nicht nur den Krieg. Während einer Belagerung ging auch
das "normale" Leben weiter. So sieht man nicht nur Ritter und Knappen im
Kampf, sondern auch friedliche Szenen.
Die Aachener Burgenkundler haben außerdem das Panorama eines französischen
Ritter-turniers im 14. Jahrhundert nachgestellt.
Bis zum 8. Januar 2003.
Dietrich Hennes |