Mitteldeutsche Zeitung vom 03. August 2001

Faszination der alten Burgen
Eine Burg in der Burg ist derzeit im thüringischen Sömmerda zu sehen.
 Die Runneburg birgt in ihren Mauern die Nachbildung eines Wehrturmes.


Von Hans-Dieter Speck

Das Herz schlägt für das Hochmittelalter, im Takt zwischen der Zeit der Karolinger und der Staufer. Der eine Verein rettet eine mittelalterliche Burg vor dem Verfall, der andere baut eine zerstörte Veste im Modell maßstabgetreu wieder auf. Für zwei Männer wird die Begeisterung zur Herausforderung. Fast zeitgleich, aber unabhängig voneinander, lassen 1990 zwei Männer im thüringischen Weißensee und in Aachen einen langgehegten Traum Wirklichkeit werden - der Prähistoriker Thomas Stolle (40) und der Architekt Bernhard Siepen (51). Das Ergebnis ist in diesen Sommertagen auf der Runneburg im Landkreis Sömmerda zu sehen. Unter dem Dach eines romanischen Palas steht dort die monumentale Replik eines gotischen Bauwerks.

Das Mittelalter mit einer Modell-Burg anschaulich machen, das will Bernhard Siepen. Die Wahl fällt auf die Burg Coucy in Nordfrankreich. Ab 1223/25 errichtet, galt diese über Jahrhunderte a1s mächtigste Befestigung nördlich von Paris. Kernstück des Bauwerks war der Donjon, mit 54 Meter Höhe, 31 Meter Durchmesser und 7,5 Meter starken Wänden der größte Wehrturm des Abendlandes. Bis 1917. Da sprengten ihn deutsche Truppen in die Luft. Auch das bewegt Siepen: „Ich sah in einer Rekonstruktion auch eine kleine Geste der Wiedergutmachung.“

Der Mann lässt alles stehen und liegen. Nahezu  zehn Jahre    recherchiert er mit

seiner Frau und einem Berufskollegen. Genaue Detailzeichnungen entstehen. Doch der Modellbau übersteigt seine Kräfte.

Der geschieht mit Hilfe der von ihm 1996 gegründeten Gesellschaft für Internationale Burgenkunde Aachen. Zu den 25 Ehrenamtlichen gesellen sich Professionelle: Romanisten und Anglisten, Historiker und die praktische Zunft - Tischler und Schlosser, das Baugewerbe. Schüler und Lehrer werden für die Mitarbeit begeistert. Nach zwei Jahren steht das Modell: Auf einer 36 Quadratmeter großen Grundfläche ist die Kernburg von Coucy im Maßstab 1:25 dargestellt.

2.500 Elastolinfiguren zeigen das Leben in einer Burg. Die National Geographic Society holte das Modell in diesem Frühjahr in ihr Washingtoner Museum.

Was dort in neun Wochen vor über 40.000 Besuchern gezeigt wurde, ist nun auf der Runneburg in Weißensee zu sehen. Hier hat seit 1990 der Prähistoriker Thomas Stolle einen Kreis von Burgenfreunden in einem Verein zur Rettung der Runneburg um sich geschart. Einst war die Burg die stärkste Befestigung der Landgrafen von Thüringen, in der DDR geriet sie in Vergessenheit, nun drohte sie den Berg herab zu stürzen. Mit eigenen Mitteln und Kräften begannen die Burgenfreunde aufzuräumen. Nur wenige Burgen in Deutschland weisen so viel hochrangige romanische Architektur am ursprünglichen Standort auf.

Inzwischen konnten die Fundamente der Burganlage gesichert werden, Palas und alte Kirche sind nicht mehr gefährdet. Über neun Millionen Mark an Landes- und Fördermitteln wurden aufgebracht. Und noch einen Traum hat sich Stolle erfüllt: Mit 20 Burgenfreunden baute er jene Wurfmaschine nach, die Kaiser Otto IV. im Jahre 1212 bei der Belagerung von Weißensee eingesetzt hat - den Triboc, eine gewaltige Steinschleuder. Am1. Juni 1997 spannten acht Mann zum ersten Ma1 den l8 Meter langen Wurfarm und schleuderten eine 50 Kilo -Steinkugel 300 Meter weit über die Burgmauer. Seitdem sind die „Schleudertage“ auf der Burg eine Attraktion.

Die hat jetzt - noch bis zum 23. September - mit der Ritterburg der Aachener Konkurrenz bekommen. Auf einem Sockel ragt der Wohn - und Wehrturm, der Donjon der Burg Coucy, bis unter die Decke des Palas der Runneburg. In sieben Szenarien werden höfisches Leben, Belagerung und Erstürmung der Burg dargestellt. Dazu dokumentieren 55 Schautafeln Wissenswertes über l18 andere Burgen.

Runneburg - Verein, Telefon 03 63 74/20 785

Die Runneburg präsentiert sich gegenwärtig im Stahlkorsett. Der Burgenverein Weißensee konnte die einst wehrhafte Burg der Thüringer Landgrafen vor dem Absturz retten. Mit Mittelalterfesten und Ausstellungen ist sie wieder zu einem Anziehungspunkt der Region geworden.

Auch   um    Modell    eindrucksvoll:  Der Donjon  ragt  bis  unter  die   Decke    des Runneburg-Palas.                                                   Fotos: H.-D. Speck