Zeitschrift des Schweizerischen Burgenverein 7.Jahrgang 2002/03

Die Levante im Mittelalter
Modell des Bazars von Aleppo und der Johanniterburg Margat


DR. HANS ALTMANN, Vorstand GIB e.V.

Seit nunmehr zwei Jahren arbeitet die Gesellschaft für internationale Burgenkunde Aachen e.V. (GIB e.V.) an einer Präsentation von Burgen aus der Zeit der Kreuzfahrerstaaten. Der Vorsitzende, Architekt Dipl.-Ing. Bernhard Siepen, ließ sich auf einer Reise durch den Nahen Osten von der Vielfalt und Mannigfaltigkeit der Burgen faszinieren, die mal besser, mal schlechter erhalten, von christlichen wie von muslimischen Herrschern erbaut worden sind und von der fast 200 jährigen Existenz christlicher Staaten nach Eroberung Jerusalems im Jahre 1099 Zeugnis ablegen. Fachliches, architekturgeschichtliches Interesse führte Herrn Siepen zu der Erkenntnis, dass diese Bauwerke weit über die ihm bekannten europäischen Burgen hinaus eine lange Entwicklung von Wehrtechnik und künstlerischer Repräsentation erkennen lassen, vom Oströmischen Reich angefangen; und in kurzer Zeit überzeugte er die GIB e.V. davon, dass sie mit einer Präsentation Anklang finden würde.

Von vornherein war er sich darüber im klaren, dass neben Architektur und Technik das gesellschaftliche Leben der damaligen Menschen, ob Christen oder Muslime, und damit die gesamte Levante ins Blickfeld kommen sollte. Dabei konnte er  auf seine Erfahrungen mit der Ausstellung Französische Donjons zurückgreifen, die neben 50 Schautafeln in ihrem Zentrum, dem Modell der Burg von Coucy, Angriff und Verteidigung auf der einen, geschlossenen Seite und mehrere Szenen friedlichen Lebens der Ritterzeit auf der anderen, aufgeschnittenen Seite präsentierte. Daneben zeugte das figurenreiche Modell eines Turniers zwar von der ritterlichen Freude am Kampf, doch war diese friedlich eingebunden in Fest und Feier.

Die Arbeit am neuen Projekt wurde nicht zuletzt dadurch beflügelt, dass die bisherigen Veranstalter ihr Interesse bereits bekundet haben. Demgegenüber traf die Katastrophe vom 11. September 2001 wie alle Welt die Mitglieder und Mitarbeiter der GIB e.V., aber in besonderer Weise. Sie mussten befürchten, dass eine mit dem Thema „Kreuzzüge“ befasste Ausstellung gerade solche Reaktionen auslösen würde, die in dieser Situation unbedingt vermieden werden mussten. Die Erinnerung an die Kreuzzüge würde die in Amerika wie in Europa  vorhandene Bereitschaft verstärken, gewaltsam gegen die Operationsbasis der Selbstmordattentäter vorzugehen; und zum Erschrecken aller Verständigen nahm der Präsident der USA anfangs selbst das Wort „Kreuzzug“ in den Mund als er eine notwendige Antwort  auf die ungeheure Herausforderung der westlichen Gesellschaft geben wollte. In der islamischen, mehr als der Westlichen Geschichtsbewussten Welt verband sich die Erwartung eines neuen „Kreuzzuges“ mit der Gewissheit, die neuen „Kreuzfahrer“ wie die damaligen auf kurz oder lang ins Meer werfen zu können, und erneut wurde der Kampf gegen den Staat Israel in diese verhängnisvolle Bildsprache einbezogen.

Zuerst war in dieser Situation der wissenschaftliche Beirat gefragt, der seit dem 25.11.2000 daran arbeitet, der künftigen Ausstellung das Gesicht zu geben. Mit dem Blick auf Intention und Erfolg der laufenden Ausstellung hatten sich Koryphäen für die verschiedenen Themen zu einer vertrauensvollen und befriedigenden Zusammenarbeit gefunden.

Es sind Prof. Dr. phil. Udo Arnold (Univ. Bonn), Prof. Dr. phil. Karl Borchardt (Univ. Würzburg), Prof. (em.) Dr. Dr. hc. mult. Paul-Leo Butzer (RWTH Aachen), Prof. Dr. phil. Heinz Gaube (Univ. Tübingen), Prof. Dr. rer. nat. Erhard Godehardt (Univ. Düsseldorf), Prof. Dr. phil. Peter Herde (Univ. Würzburg), Prof. Dr. phil. Rudolf Hiestand  (Univ. Düsseldorf), Prof. Dr. Ing. Hartmut Hofrichter(Univ. Kaiserlautern), Dr. Jürgen Jansen (RWTH Aachen), Prof. Dr. phil. Dietrich Lohrmann, Prof.(em.) Dr.-Ing. Cord Meckseper (Univ. Hannover), Prof. Dr. phil. Hannes Möhring (Univ. Bayreuth), Dr. Mathias Piana  (Univ. Augsburg),  Frank Pohle M.A. (RWTH Aachen), Prof. R. Denys Pringle (Univ. Cardiff/ GB) und Prof. Dr. phil. Günther Urban.

In Kürze war man sich darüber einig, dass die bisherige Arbeiten

und Planungen in dieser neuen Situation geradlinig fortgesetzt werde konnten  und die künftige Ausstellung eine verantwortliche und bedeutsame Antwort  auf den wieder entfachten Streit zwischen dem Westen und der muslimischen Welt geben würde. Dazu war aber eine Gewichtsverlagerung nötig. Eine Leitidee sollte bisher dazu dienen, der Vielzahl möglicher Einzelthemen mit dem einer jeden Ausstellung gegeben Rahmen zu begrenzen, nämlich den Räumlichen Begebenheiten wie der Fassungskraft eines Publikums, das sich mit einem einmaligen Besuch begnügt. In dieser neuen Situation kam aber vordringlich die didaktische Konzeption hinzu, nämlich sachgerechte Information und Urteilsbildung, Beseitigung eines verfestigten Feindbildes und Hinführung zu einem Menschenbild, das neben anderen Kulturen und Religionen der Welt der Muslime Gerecht wird. Demnach sei jede Aktualisierung auszuschließen, also eine Aussage in Wort und Bild, die als Parteinahme angesehen werden kann, als Ja oder Nein zu einer politischen Entscheidung. Demgegenüber soll der Besucher erkennen, dass Forschung und Wissenschaft verlässliche und verbindliche Aussagen machen können, die jeder politischen Entscheidung zu Grunde gelegt werden sollten.

Die Ausstellung wird demnach zwei Schwerpunkte haben:

  1. Die Kreuzzüge lassen Europa wie kaum ein anderes Phänomen seiner Geschichte als Einheit erscheinen und Zuweisung von Schuld und Versagen wie von Verdienst an einzelnen Nationen ausschließen.
  2. Die Kreuzzüge führten im Hl. Land zu Begegnung mit dem Islam und den östlichen Kirchen der Christenheit und damit zu einem in Europa bisher unbekannten Miteinader, das Kampf und Krieg in den auf Dauer und friedlichen Alltag angewiesenen Kreuzfahrerstaaten ablösen musste. Geistiger, kultureller Austausch waren die Folge und damit Wandlungen in Europa, unmittelbar in der Architektur, mit Fernwirkung bis zur Toleranz der Aufklärung des 18. Jahrhunderts wie z.B. in Lessings „ Nathan der Weise“.

Dem werden die beiden Modelle gerecht werden. Der von Anfang an fest eingeplante Bazar von Aleppo ließ den Beirat erkennen, dass sein Weg von Anfang an richtig war. Auf einer Grundfläche von 3 x 3 m werden auf Verkaufsgassen, in einer Karawanserei und einem Bade 400 handgefertigte, bemalte und bekleidete Figuren das alltägliche Leben in unmittelbarer Nachbarschaft der Omayadenmoschee und der Stadtburg darstellen. Nur das Bad entstammt der Kreuzfahrerzeit; alles andere ist spätosmanisch, weil die frühere Zeit nicht zu belegen ist. Doch darf als gesicherte Erkenntnis gelten, dass der heutige Besucher kaum eine Veränderung gegenüber dem im Modell präsentierten Aleppo erkennt und ebenso wenig ein Zeitreisender der Science Fiction im 11 Jahrhundert.

Wenn der Besucher „Burg“ hört, wird er in dem zweiten Modell Kampf und Krieg erwarten, erst recht, wenn er den Donjon von Coucy in der laufenden Ausstellung gesehen hat. Doch hier ist es anders. Burgenbau gehört nicht in die Kämpfe bei der Eroberung des Heiligen Landes, sondern gehört zur Konsolidierung der sich anschließend organisierenden Kreuzfahrerstaaten. Mit der Wahl der Johanniterburg Margat im Belagerungszustand von 1285 als Modell erhält der Besucher ein Beispiel für architektonische Kontinuität vom 10. Jahrhundert, also vom Oströmischen  Reich an über die Araber im 7. Jahrhundert und die Kreuzritter von 1115 wieder zur muslimischen Herrschaft nach der Kapitulation von 1250, mit Toleranz gegenüber der verbleibenden christlichen Bevölkerung, ja zeitweilig als Bischofssitz . Unter den verschiedenen Herren war die Burg ein Zentrum für staatliche und kirchliche Verwaltung,  bot Raum für das fürstliche Leben einer mit dem französischen Königshaus verwandten Familie wie anschließend für den aszetischen und gottesdienstlichen Alltag der Johanniter; ferner bot sie Raume zur Lagerung von Lebensmitteln und zur Aufnahme der Bevölkerung ringsum bei Angriffen und Raubzügen.

Maßstabsgerechte Preiser-Figuren sollen die Funktion jeder einzelnen Fläche und Räumlichkeit erkennen lassen. Insgesamt wird das Modell der in der Höhe von 312 m erbauten Burg ihre imponierende Wirkung auf die Anreisenden ahnen lassen. Im einzelnen geht es um die architektonische Authentizität der auf einander folgenden Baumaßnamen im Maßstab 1:25 auf einer Fläche von 7 x 5 m. Die Voraussetzung dafür ist das wissenschaftlich ermittelte Aufmaß. Eine Exkursion und zwei Herren des Beirats haben im Frühjahr dieses Jahres dazu notwendige Vorleistungen erbracht. Ferner wurden viele andere Burgen aufgesucht, die auf Schautafeln vorgestellt werden sollen, vor allem aber der Bazar von Aleppo, wo fachlich versierte Landsleute schon seit Jahren arbeiten und zur Erstellung des Modells wesendlich beitragen. Die genannten Schautafeln behandeln mit der Darstellung der Baugeschichte einzelner Burgen die gemeinsame Freund- und Feindverbindende Entwicklung, dann ihre Wirkung auf die weitere Architekturgeschichte in den Heimatländern. Es wird sich zeigen, dass sich Ergebnisse von archäologischer, historischer und baugeschichtlicher Forschung kurz und verständlich für Jung und Alt darstellen lassen.

Wer sich dabei vor Lücken sieht und zu Fragen geführt wird, kann sich in einem Katalog auf breiterer Basis informieren. Damit sind drei Aufgaben des Beirats genannt, eine vierte ist die Konzeption von ca. 12 Vorträgen auf einem Symposium im Herbst 2004, in dem Fachkollegen und einem wissenschaftlich interessierten Publikum vorgestellt und diskutiert wird. Es wird die Bandbreite der wissenschaftlichen Arbeit erkennen lassen. Ein Sammelband wird Vorträge und Diskussionen für  Forschung festhalten.

Neben dem wissenschaftlichen Beirat wurden nach dem Vorbild der Donjon-Ausstellung nach wissenschaftlichen Vorlagen zunächst für den Bazar von Aleppo Figuren gestaltet. Es waren drei Schülerinnen der Aachener Fachoberschule für Gestaltung und Technik, die ein einjähriges, begleitendes Praktikum zu absolvieren hatten und während der Mitgliederversammlung vom 25. Juni ds. Js. ausdrücklich erklärten, dass sie vom Vorsitzenden, Herrn Siepen, eine umfassende und einfühlsame Einführung und Gelegenheit zum eigenen schöpferische Tun erhielten.

Ferner arbeiteten an den Figuren Schulklassen mit von Lehren vorbereitet, die erkannt hatten, wie wertvoll eine „handgreifliche“ Erfahrung mit geschichtlicher Vergangenheit ist. Noch vom 17.-21.Juni 2002 arbeitete Herr Siepen mit einer Hauptschulklasse bei großer Zustimmung der Schüler, Lehrer und Eltern, die zum Teil schon ihr Interesse an weiterer Mitarbeit bekundet haben. Für die Intention der Ausstellung war es besonders wichtig, dass unter 23 Kindern 5 Kinder muslimischen Glaubens waren. Über diese Arbeit mit Schülern und alle anderen genannten Initiativen hat die euregionale Presse ausführlich informiert und um Mitarbeit geworben, nicht zuletzt um finanzielle Unterstützung. Die Finanzierung der Ausstellung war von Anfang an die Sorge aller Beteiligten. Einnahmen vor Eröffnung der Ausstellung im Jahre 2004 erwartet die GIB e.V. von der Ausleihe der beiden Modelle und der Schautafeln nach ihrer Fertigstellung. Interessiert zeigten sich bisher Museen in Mannheim und Oldenburg. Entscheidend aber wird die Bereitschaft  von Institutionen und Sponsoren sein, sich für diese hervorragende Art der Bildung von Jung und Alt in einer politisch schwierigen Zeit finanziell einzusetzen.

Seit dem 25.Juni ist ein neuer Vorstand gewählt und setzt sich zusammen aus: Dipl.-Ing. Bernhard Siepen als Vorsitzenden, Prof.-Dr. phil. Dietrich Lohrmann als 2.Vorsitzenden, Dipl.-Ing. Dieter Hammes als Schatzmeister und Dr. Hans Altmann als Schriftführer.

Kontaktadresse: Gesellschaft für Internationale Burgenkunde Aachen e.V.,

Bernhard Siepen, Grindelweg 4, D-52076 Aachen. Weitere Informationen unter www.burgenkunde.de  oder www.castlescience.de