Grenz-Echo vom 03. Februar 1996

Geheimnissen wehrhafter Wohntürme auf der Spur 
Aachener Ehepaar erforscht Frankreichs Donjons


Aachen. - Bereits als Jugendliche seien sie vom Leben im Mittelalter fasziniert gewesen. Besonders angetan hatten es ihnen Burgen und die mächtigen Wohntürme französischer Wehranlagen, die so genannten Donjons. So begründet das Ehepaar Bernhard und Iris Siepen seine Leidenschaft, mit der es die Geschichte und die Architektur von bisher 130 wehrhaften Türmen unter die Lupe genommen hat.

Besser als in anderen Ländern hätten sich in Frankreich die Wehrtürme der Burgen in ihrer ursprünglichen Form erhalten, berichtete Bernhard Siepen im Gespräch mit dem Grenz-Echo.

Neubau statt Umbau

Das sei wohl darauf zurückzuführen, daß den französischen Burgherrn mehr Land zur Verfügung stand, als dies zum Beispiel in Deutschland der Fall war.
„Wenn ein deutscher Adliger seinen Wohnkomfort verbessern wollte, wurden der Palas oder der Wohnturm umgebaut und modernisiert, wobei zu bemerken ist, daß die deutschen Bergfriede in der Regel nicht bewohnbar waren. In Frankreich verließ man diese Gemäuer oftmals und baute sich ein neues Schloß an anderer Stelle. Deshalb blieben zahlreiche Donjons in der Gestalt erhalten, in der sie ursprünglich errichtet wurden.“

Letzte Zuflucht

Der Donjon diente zum einen der Familie des Burgherrn als Wohnstätte, zum anderen war der befestigte Turm aber auch die letzte Zuflucht der Verteidiger, wenn alle anderen Bastionen gefallen waren. 
Entsprechend mächtig wurden die Grundmauern der Donjons ausgeführt, nicht selten sind diese bis zu sieben Meter stark. Bis ins 11. Jahrhundert hinein   wurden   die  Donjons   aus   Holz

errichtet. Im Jahre 994 wurde in Langeais der erste steinerne Donjon errichtet und allmählich wuchsen die Wohntürme immer mehr in die Höhe. Der Donjon von Coucy, der 1917 zerstört wurde, erreichte die Höhe von 54 Meter und hatte einen Durchmesser von 31 Meter.

Nachbauten

In mehr als zehnjähriger Forschungsarbeit hat das Ehepaar Siepen, unterstützt durch den Burgenfan Sibert von Lovenberg, 130 Donjons wissenschaftlich untersucht und vermessen.
Aus dieser Arbeit heraus entstand der Wunsch, ein Buch zu veröffentlichen und Ausstellungen zu organisieren.
Aufgrund der Ausmessungen, die sie vor Ort gemacht hatten, fertigten die Architekten Siepen und von Lovenberg detaillierte Pläne der 130 Donjons an und machten sich daran, einige der schönsten Exemplare im Maßstab 1:25 nachzubauen.

Szenen nachstellen

Der Maßstab 1:25 wurde bewußt gewählt, um die Donjons mit Elastolin-Figuren beleben zu können, die in eben diesem Maßstab von dem Rothenburger Unternehmen Preiser hergestellt werden.
Anläßlich des Deutsch-Französischen Kolloquiums, das am vergangenen Wochenende im Aachener Rathaus stattfand, hatten die Burgenfreunde und Modellbauer Gelegenheit, eine kleine Ausstellung im Foyer des Rathauses auszurichten, die die Aufmerksamkeit der geladenen französischen und deutschen Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft erregte. 
Von dem Europaabgeordneten Dr. Hans Stercken, einem begeisterten Verfechter der Arbeit des Ehepaares Siepen, wurde auch der Präsident der französischen Nationalversammlung, Philippe Séguin, durch die kleine Ausstellung geführt. Er zeigte sich von dem Projekt begeistert und sprach Bernhard Siepen auf den in 

Ausgrabung befindlichen Donjon in seiner Heimatstadt Epinal an.

Alltag darstellen

Gerade die Detailgenauigkeit, demonstriert durch Zeichnungen vom Aufmaß in Kladde bis zur fertigen Zeichnung, und die Absicht, auch hiernach weitere authentisch genaue Modelle von Donjons nachzubauen, faszinierten nicht nur ihn, sondern auch andere Anwesende.
Im kommenden Jahr will das Ehepaar Siepen - Iris Siepen ist aprobierte Apothekerin - sein seit langem geplantes Buch herausbringen. Das Buch soll nicht nur ein Architektur-, sondern auch ein Geschichtswerk werden und nicht alleine für den Burgenfachmann bestimmt sein.
Auch sollen ab I997 Ausstellungen zum Thema Donjon im In- und Ausland ausgerichtet werden. Das Zentrum der Ausstellung soll jeweils mit authentischen Modellen und Hunderten Elastolin-Figuren belebt werden, die den mittelalterlichen Alltag darstellen werden.

Vereinsgründung

Am 24. März dieses Jahres wird unter der Schirmherrschaft der Deutschen Burgenvereinigung e.V. im historischen Pfaffenturm der Stadt Aachen ein Verein gegründet, der zukünftig auch andere europäische Burgenthemen ab der Zeit von Karl dem Großen bis ins auslaufende Mittelalter für Ausstellungen im In- und Ausland aufbereiten soll.
Eine erste Ausstellung ist für Mitte 1997 im Sitz der Aachener Sparkasse am Münsterplatz geplant. Eine weitere soll danach in der Tourainer Königsstadt Loches durchgeführt werden, deren frühromanischer Donjon ebenfalls nachgebaut werden soll.

Auskünfte erteilt Bernhard Siepen, Grindelweg 4, in D-52076 Aachen, Tel. 00-49-241/604500.                               hego

Kommentar zum Bild: Ein Blick in die Ausstellung im Aachener Rathaus vermittelt einen Eindruck von der detailgetreuen Arbeit des Ehepaars Siepen. Die Zeichnung links zeigt einen Aufriß des 1917 zerstörten Donjons von Coucy.