Grenz-Echo vom 01. März 2002

Die Formenvielfalt französischer Donjons
Vortrag beim EGMV weckte Lust auf Entdeckungsreise


Eupen

Frankreich ist übersät mit wehrhaften Wohntürmen, die ihren Besitzern einst Schutz vor feindlichen Überfällen boten und in friedlichen Zeiten ein mehr oder weniger komfortables Leben erlaubten. In einem Vortag, zu dem der Eupener Geschichts- und Museumsverein (EGMV) eingeladen hatte, stellte der Erste Vorsitzende der Aachener Gesellschaft für Internationale Burgenkunde, Bernhard Siepen, die Formenvielfalt französischer Donjons vor und weckte mit den Lichtbildern, die er zur Illustration seines Referats auf drei Leinwänden zeigte, bei seinen Zuhörern die Lust, auf eine Entdeckungsreise kreuz und quer durch Frankreich zu gehen.

Dauerhafte Wohnstätte

Der Donjon, der Hauptturm der französischen Burgen, war gleichzeitig Macht- und Statussymbol. Im Verteidigungsfall war er eine unabhängige Wehranlage, diente als Kommandozentrale und oft letzte Zuflucht, für die Bewohner der Burg. Vom in Deutschland üblichen Bergfried, der in erster Linie ein Wachturm war, unterscheidet er sich durch seine Konzeption als dauerhafte Wohnstätte des Feudalherren. (Einige Donjons sind bis auf den heutigen Tag ununterbrochen bewohnt.)
Frühe aus Holz konstruierte Donjons entstanden am Ende des

9. Jh. im Flachland auf Erdmotten, umgeben von einem mit Palisaden bestückten Wall oft auch von einem Wassergraben.
Auf dem Teppich von Bayeux, der 1077 entstand, ist der Holzdonjon von Dinan in der Bretagne abgebildet. Der erste erhaltene steinerne Wohnturm ist der Donjon von Langlais, um 994 errichtet vom Grafen von Anjou. Wie ihre hölzernen Vorgänger hatten die frühen romanischen Donjons einen vi
ereckigen Grundriss.
Der Donjon von Falaise, einer der größten im Norden Frankreichs, hat eine Grundfläche von 600 Quadratmetern. Die Durchschnittshöhe der romanischen Donjons beträgt 25 bis 30 Meter, der 1030 errichtete wehrhafte Wohnturm von Loches ragt 37 Meter hoch auf.
Die Viereckform wurde am Ende des 12. Jh. durch den  Runddonjon abgelöst. Der älteste seiner Art ist der Donjon von Fretéval (um 1100). Der Runddonjon bot eine bessere Übersicht, die Angreifer konnten sich nicht in einem toten Winkel nähern und die runden Mauern hatten eine höhere Widerstandskraft gegen Rammböcke.

Sonderformen

Die Runddonjons wurden immer größer und höher. Der Baron Enguerrand III. von Coucy errichtete von 1223 bis 1225 eine gewaltige Verteidigungsanlage in der Picardie mit dem mächtigsten je in Frankreich gebauten Runddonjon. Das gewaltige Bauwerk hatte eine

Höhe von 54 und einen Durchmesser von 31 Metern.
Die Mauerstärke betrug bis zu sieben Meter. Der Donjon wurde am 27. März 1917 von deutschen Truppen in Zuge einer Frontverlegung mit 28 Tonnen Dynamit in die Luft gesprengt. (Ein Nachbau dieses mittelalterlichen Wolkenkratzers ist noch bis zum 23. März im Tr
eppenhaus des ATC am Eupener Werthplatz zu sehen.)
Aus
dem Runddonjon entwickelte sich der kleeblattförmige Wohnturm, viereckige Donjons wurden mit Halbrundtürmen versehen.
Als Sonderformen stellte Bernhard Siepen Donjons mit drei-, fünf oder achteckigen Grundrissen vor. Seltener waren zwölf- oder gar sechszehneckige Grundrisse. Einen mandelförmigen Donjon hat das Ehepaar Siepen - auch Iris Siepen ist vom Donjonvirus befallen, der ihren Mann seit 1984 umtreibt - in Coudray-Salbart ausfindig gemacht. Ein
Oval bildet der Donjon von Lys-Saint-Georges.
Um den Einfluss Frankreichs auf den Burgenbau in England zu dokumentieren, zeigte der Referent auch einige Donjons von den Britischen Inseln, wo besonders die Normannen ihre Spuren hinterlassen haben.
Zu Beginn seines Vortrags hatte Bernhard Siepen seinen Zuhöreren anhand von Karten einen Überblick über die Geschichte Frankreichs vom 10. bis zum 15. Jh. präsentiert, damit diese die Entstehung der Donjons und ihre Bedeutung für die Ausdehnung der Domäne des Königs einordnen konnten.

Der Donjon von Coucy war bis 1917 der mächtigste in Frankreich.