Frankfurter Rundschau vom 18. Januar 2003
Verschwundene Türme |
Von Hans-Jürgen Linke
Drei Jahre nur brauchten die Bautrupps
Enguerrands III, des selbstbewussten und offenbar überaus reichen und
mächtigen Herrn von Coucy, um eine gigantische Stadt- und Burganlage zu
errichten. Optisches und militärisches Zentrum dieser Anlage war der Wohn-
und Wehrturm, französisch: Donjon, der auf einem etwa 60 Meter hohen
Felsenrücken lag und selbst 55 Meter hoch war. Ab 1225 stand er alles
überragend in der Landschaft; er war rund, hatte einen Durchmesser von 31
Metern, und die Mauerstärke betrug 7.50 Meter. |
gewirkt
haben mag. Zu der Anlage gehörten vier weitere
Wehrtürme, von denen jeder
immer noch größer war als die meisten anderen Donjons, die im Mittelalter
in Frankreich erbaut wurden. Das Modell ist Zentrum einer Ausstellung mit
dem folgerichtigen Titel "Wolkenkratzer des Mittelalters", die das
Archäologische Museum in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für
Internationale Burgenkunde Aachen zeigt. Die Gesellschaft hat nicht nur
die große Ritterburg gebaut, die jetzt im Museum steht (und dafür nur ein
halbes Jahr weniger gebraucht als die Bautrupps von Coucy im 13.
Jahrhundert für das Original), sondern auch eine ausführliche
Dokumentation erarbeitet, die sich der vielgestaltigen Architektur der
Donjons in Frankreich widmet. Darunter befindet sich auch der bekannte
Donjon von Aigues Mortes in der Camargue, den Ludwig IX. nach 1244 erbauen
ließ. Der war mit seinen 22 Metern Durchmesser und einer Mauerstärke von
sechs Metern zwar nicht annähernd so groß wie der von Coucy, ist dafür
aber vollständig erhalten und nach wie vor beherrschend im Stadtbild von
Aigues Mortes. |
Ausgrabungen 1959 und 1971 gaben nähere
Auskünfte über das Bauwerk. Unklar ist allerdings, ob dieser Staufer-Turm
je als fertiges Bauwerk zu sehen war
oder in welchem Stadium die Bauarbeiten abgebrochen wurden. Fest steht
jedoch, dass die erste Wolkenkratzer-Baustelle Frankfurts in der Mitte des
13. Jahrhunderts auf dem Römerberg lag. Eine Dokumentation zu diesem Turm
ist Teil der Ausstellung im Archäologischen Museum.
INFO |
Eine Ritterburg nicht zum
Spielen, sondern zum Veranschaulichen des Lebens, Belagerns und Verteidigens
in einer mittelalterlichen Wehranlage steht im Erdgeschoss des
Archäologischen Museums. |