Wollte man die großen Epochen der
Weltgeschichte an einem bestimmten Bauwerk festmachen, so stünde für das
Altertum der Tempel, für die Moderne das Hochhaus und für das Mittelalter
die Ritterburg. Ihre imposante Anschaulichkeit hat sie jeweils zu Symbolen
eines Zeitalters werden lassen - und in vielen Betrachtern das Interesse
für eine genauere Beschäftigung mit ihrer Entwicklung und ihrem Zweck in
ihrer Zeit geweckt. Mancher Professor der mittelalterlichen Geschichte,
der heute dicke Bücher schreibt, in denen Fuß-noten
mehr Platz einnehmen als der eigentliche Text, hat vermutlich als Kind
zunächst im Bann der Burgruinen am Rhein und der mit ihnen verbundenen
romantischen Vorstellungen gestanden.
Wenn diese These stimmt, dann könnte eine Ausstellung im Archäologischen
Museum eine weitere Generation von For-schern
begründen. Das gewaltige Modell des im 13. Jahrhundert errichteten
Wehrturms von Coucy, das im Zentrum der Ausstellung „Wolkenkratzer des
Mittelalters“ steht, ist wie geschaffen, kleine Besucher für die
vermeintlich dunkle Epoche zu interessieren. Und ähnlich wie beim Spielen
mit Modell-eisenbahnen können Eltern ihre eigene
Faszination, die ihnen vielleicht etwas unreif erscheinen mag, hinter dem
Staunen der Kinder verbergen. Egon Wamers,
Leiter des
Museums, hob
denn
|
auch
bei der Präsentation der Ausstellung hervor, dass man vor allem einen
pädagogischen Zweck verfolge. In Kooperation mit dem Kindermuseum
im Historischen Museum sollen junge Besucher mit dem historischen Stoff
vertraut gemacht werden.
Mit 55 Metern Höhe und einem Durchmesser von mehr als 30 Metern war der
Wohn- und Wehrturm von Coucy der größte der so genannten Donjons in
Frankreich und im ganzen Abendland. 1917 wurde der gut erhaltene Turm von
deutschen Truppen bei einer Frontkorrektur gesprengt, so dass nur ein
Trümmerfeld übrig blieb. 2500 Figuren haben die Modellbauer von der
Gesellschaft für Internationale Burgenkunde aus Aachen mit großer Liebe
zum Detail gegossen und bemalt. Sie stellen im Maßstab 1:25 Szenen aus der
Belagerung der Burg durch die Engländer im Jahr 1339 während des
Hundertjährigen Kriegs dar. Eine Ausfalloffensive von französischen
Reitern über die heruntergelassene Zugbrücke, die Folterung von Gefangenen
im Kerker, der Angriff der Engländer mit Sturmtürmen und Sturm-leitern,
aber auch ein Fest im großen Saal des Turms sind zu sehen. Wer nicht nur
schauen, sondern auch lesen will, erfährt auf den zahlreichen engbe-druckten
Informationstafeln das Wichtigste über die Donjons und
ihre Geschichte, auf deutsch,
französisch und englisch. |
Konzipiert wurde die Ausstellung
vom Architekten Bernhard Siepen, der der Burgenkunde-Gesellschaft
vorsteht und mehr als zehn Jahre lang durch Frankreich gereist ist, um
Material über die Geschichte der Donjons und ihre militärische Funktion zu
sammeln. Es wird deutlich, wie mannigfaltig. die Formen der Donjons waren.
Es gab kleeblattartige, aber auch sechzehneckige Grundrisse.
Das Archäologische Museum nutzt die Gelegenheit, auch an den gewaltigen
Rundturm zu erinnern, der einst auf dem Römerberg stand. Sein
Umriss - er hatte einen Durchmesser von immerhin 22 Metern - ist im
Pflaster markiert. Der Turm wurde vermutlich in der ersten Hälfte des 13.
Jahrhunderts unter dem Stauferkönig Friedrich II. errichtet, jedoch
offenbar nicht vollendet. Über seinen Zweck rätseln die Historiker noch.
Die Ausstellung ist noch bis zum 6. April im Archäologischen Museum zu
sehen, das dienstags bis samstags zwischen 10 und 18 Uhr und sonntags
zwischen 10 und 20 Uhr geöffnet ist. Der reichbebilderte Katalog kostet 36
Euro. Führungen für Erwachsene werden sonntags um 14 und mittwochs um 18
Uhr angeboten. Außerdem GIB e.V.t es zahlreiche Sonderveranstaltungen. Weitere
Informationen unter www.archae-ologisches-museum.frankfurt.de.
MATTHIAS ALEXANDER |