Geschichte und Baubeschreibung von Coucy |
1116 erhielt Enguerrand I. de Boves die Burg Coucy, die im 9./10.Jhdt. als hölzerne Burg errichtet worden war, als Lehen und begründete jene mächtige, bis 1397 bestehende Dynastie der Barone von Coucy, die mit mehreren europäischen Königshäusern verwandt waren und ihren Besitz stetig zu vergrößern vermochten. Enguerrand III., der Bauherr der hochmittelalterlichen Burg Coucy, kann als der schillerndste Vertreter dieser Dynastie gelten. Ab 1223/25 ließ er zur Manifestation seiner Macht die kollossale Verteidigungsanlage mit dem mächtigsten je in Frankreich erbauten Runddonjon errichten. Nach seiner Heirat mit der Enkelin des englischen Königs hatte sich seine Domäne beträchtlich erweitert, sodass er 1226 nach dem Tod Ludwigs VIII. Ansprüche auf den französischen Thron erhob. Nur dank der Umsicht der späteren Regentin Blanca von Kastilien konnten Enguerrands Pläne vereitelt werden, woraufhin er seine berühmte hochmütige Devise formulierte: "Ich bin weder König noch Prinz noch Herzog, nicht einmal Graf, aber ich bin Herr von Coucy." Im 100-jährigen Krieg widerstand die Anlage 1339 der Bedrohung durch englische Truppen. Im späten 14.Jhdt. ließ Enguerrand VII. bedeutende Aus- und Umbauarbeiten durchführen. Mit dem Tod der ältesten, kinderlosen Tochter Enguerrands VII., die Coucy dem Bruder König Karls VI., Ludwig von Orléans, überließ, starb das Geschlecht derer von Coucy 1400 aus. Ludwig ließ die Arbeiten Enguerrands zu Ende führen und baute Coucy, das auch militärisch eine wichtige Rolle innerhalb der Verteidigungslinie nördlich von Paris spielte, zu einer der prunkvollsten Residenzen Frankreichs aus. Nach der Ermordung Ludwigs 1407 wurde Coucy zum Streitobjekt und 1411 und 1413 belagert. Nach unruhigen Jahrzehnten stürmten königliche Truppen die Burg 1487 nach einer weiteren Belagerung und übergaben sie Ludwig von Orléans, dem Sohn Karls VIII., der 1498 gekrönt wurde. Während der Religionskriege wurde Coucy 1567 von den Calvinisten angegriffen, dann von den Ligueurs besetzt. Als der Gouverneur von Coucy 1652 die Übergabe der Burg an einen im Auftrage Mazarins handelnden Marschall verweigerte, wurden die Tore der Burg und Vorburg sowie die Mantelmauer des Donjons und seine Gewölbe gesprengt; Coucy diente als Steinbruch, später als Gefängnis und Altenheim. 1856 begann Viollet-le-Duc mit der Restaurierung. Am 27.3.1917 wurde der Donjon von deutschen Truppen im Zuge einer Frontverlegung mit 28t Dynamit in die Luft gesprengt. Die rundum gut befestigte Stadt Coucy liegt auf einem Kalkplateau 60m oberhalb der Ailette. Auf der nach N ins Tal vorspringenden Spitze dieses Plateaus stand, von der Stadt durch einen 25m breiten Abschnittsgraben getrennt, die gewaltige Festung. Durch das großartige, 1652 zerstörte Doppelturmtor "Maître Odon" von 1225 kam man in die riesige Vorburg mit 9 eng stehenden Rundtürmen von 9m Durchmesser. Drei dieser Türme sind heute völlig ruinös, und in der Vorburg sind nur noch ein Brunnen, Fundamente einer Kapelle und 6 Basen von Portalsäulen sichtbar. Eine mehrteilige, viaduktartige Zugbrücke auf Mauerpfeilern führte über den 22m breiten Halsgraben zum mit drei Fallgattern und Gußloch gesicherten Tor der Hauptburg. Über dem Torgang befand sich seit 1538 ein 1653 zerstörtes Logisgebäude mit beidseitiger Burgwache und Schießscharten. Die trapezförmige Hauptburg übertrifft mit Frontlängen von 111, 51, 70 und 105m schon flächenmäßig die königlichen Burgen. Selbst die flankierenden, 4-geschossigen runden Ecktürme waren mit 35m Höhe und bis zu 20m Durchmesser größer als die philippinischen Donjons, denen sie in der Austattung mit zahlreichen Kaminen, Latrinen und Rippengewölben im UG und EG und Holzdecken in den oberen Etagen glichen. Geschoßlich versetzte Scharten erlaubten eine perfekte Verteidigung. Die Mauerstärke war angriffsseitig auffällig erhöht. Ein Konsolenkranz für Hurden lag 4m unter der Mauerkrone, weitere 4m tiefer lag der Wehrgang der Kurtinen, nachdem sie um 1400 erhöht worden waren. Im 13.Jhdt. wurden die Kurtinen zur Vermeidung toter Winkel hofseitig mit Strebepfeilern und Bögen verstärkt. Auf diesen Arkaden lag der Wehrgang der damals unbebauten O-Kurtine. Vom NO-Turm steht nur noch ein Stumpf, die kreisrunden Keller- und Erdgeschosse der anderen mit schönen Details und exakter Mauertechnik sind teilweise erhalten. Vom 2-stöckigen Gesindeanbau entlang der O-Kurtine (14.Jhdt.) bestehen nur noch einige Spuren. Die Gebäude im Burghof wurden 1380-89 tiefgreifend modernisiert, vor allem das Logisgebäude "Salle des Preuses" und das Saalgebäude "Salle des Preux", das über zwei Portale mit der hochgelegenen Kapelle (1235-40) verbunden war. Der mit 9 Bogenöffnungen unterteilte und mit 2 Spitztonnen gewölbte, gut erhaltene Kellersall (1220) des Saalgebäudes läßt auf ungewöhnliche Maße des Vorgängerbaus schließen. Der ehedem flachgedeckte Saal im EG wurde im 14.Jhdt. mit Mittelsäulen eingewölbt und als Weinlager genutzt. Im 1.OG wurde unter einem riesigen, offenen Spitztonnendachstuhl einer der größten Festsäle des MA errichtet, mit einer Tribüne im N und einem großflächigen Maßwerkfenster im südlichen Giebel, 2 Kolossalkaminen und 2 Prunkfenstern mit darüberliegenden Lukarnen in der W-Mauer. Von den 9 Nischen für die 9 Heroen sind noch 4 auf der W-Mauer sichtbar, darüber in 10m Höhe das Kranzgesims. Eine 4,92m breite und 20m hohe gewaltige Mantelmauer umgab halbkreisförmig den Donjon, den kolossalsten mittelalterlichen Rundturm Frankreichs, der zur Angriffsseite als Kopf der Verteidigung vorsprang und hofseitig über eine ausgeklügelte Zugbrückenanlage erreichbar war. Die Eingangstür, geziert von einem spitzbogigen Tympanon mit dem Relief eines einen Löwen niederstreckenden Ritters, führt unterhalb der Windenkammer für Fallgatter und Zugbrücke in einen Gewölbeflur. Abzweigende Gänge führten rechts zu der 212-stufigen, bis zur Wehrplatte reichenden Wendeltreppe und links zu einer Latrine. Eine wiederum mit Balken verschließbare Tür führte in den mit Kamin, Backofen und einem 64m tiefen Brunnen versehenen Saal im EG. Alle drei 12-eckigen Saalgeschosse waren mit einem 12-armigen Rippengewölbe mit Schlußring überwölbt. Räumliche Erweiterung und Wandgliederung übernahmen jeweils 12 raumhohe, zwischen Strebepfeilern eingewölbte Wandnischen. Nur im EG bestanden 2 übereinanderliegende Reihen von niedrigeren Nischen. Die Rundsäulen in den Schnittpunkten der Wandflächen trugen Blattkapitelle. Auf den Kämpfern hockten bemalte Steinfiguren - vollendete Details, wie sie auch die oberen Etagen durchwirkten. Im 1.OG mit Kamin und Latrine führten von den Rückwänden dreier Nischen Steintreppen zu den extrem hoch liegenden Fenstern. Ein Fluchtgang verlief zu einer Poterne, die mittels eines mobilen Steges mit dem Wehrgang der Mantelmauer verbunden war. Im 2.OG war der Saal durch 11 Emporen in 3,5m Höhe bedeutungsvoll erweitert. Ein Gang an den Schnittpunkten von Pfeilern und Mauerrund verband die Emporen, deren 2 Zwillingsfenster auch diesen Saal nur spärlich belichteten. Bei der fast 10m hohen und 2m breiten Brustwehr wechseln Schießscharten mit hohen, spitzbogigen Zinnenfenstern, die den Hurdengang zugänglich machten, der die zentrale Abwehr von oben möglicherweise zusammen mit Wurfmaschinen verstärkte. Die Mauerkrone bildete ein beidseitig weit ausladendes, doppelreihiges Kranzgesims mit Laubwerk (1240). Die doppelseitigen Hurden lagen auf den 48 Steinkonsolen und reitend auf der beidseitig abgeschrägten Mauerkrone auf. Vier fast 10m hohe Fialen, von denen Viollet-le-Duc Fragmente gesehen haben wollte, krönten das Gebäude. |
Copyright: Gesellschaft für Internationale Burgenkunde e.V., Aachen
Stand: 01.03.2008