Donnerstag, den 29.April,  18°° Uhr
Ort:

Haus der Architekten, Sitz der Architektenkammer NRW in Düsseldorf

Thema:

Im Rahmen der Vernissage zur Ausstellung

Von Aleppo nach Coucy - Vom Orient zum Okzident

 Referent: Prof. Dr. phil. Udo Arnold  (Universität Bonn)
zum Inhalt:

Die heute zu eröffnende Ausstellung wird durch zwei Namen gekennzeichnet, Aleppo und Coucy, vor Augen geführt durch zwei beeindruckende Architekturmodelle. Doch es handelt sich um mehr als nur Namen mittelalterlicher Orte, sie stehen stellvertretend für zwei Welten, die sich fremd waren, die aufeinander trafen, deren Ideologien aufeinander prallten, deren unterschiedliche Kulturen sich aneinander rieben und sich befruchteten, und die sich im Laufe der Jahrhunderte wieder fremd wurden, bis sie einer gegenseitigen Neuentdeckung bedurften. Dieser Prozess

dauerte Jahrhunderte, und er ist z. Zt. keineswegs abgeschlossen.

   Aleppo ist heute das wichtigste Zentrum im nördlichen Syrien und blickt in seiner schriftlich fassbaren Geschichte auf rund 4000 Jahre zurück, vier Jahrtausende voller Höhen und Tiefen für die Stadt und die Region. Sie kannte viele Herrscher: Hethiter, Assyrer, Meder, Achämeniden, Alexander den Großen, Seleukiden, Römer - das ist eine Auswahl aus vorchristlicher Zeit. Es

folgten Perser, Araber, Byzantiner, Fatimiden, Seldschuken, die Zangiden von Mosul, der aus der Kreuzzugsgeschichte bekannte Sultan Saladin, Mongolen, Mamelucken, Osmanen, Franzosen - eine Auswahl der Herrscher bis 1946, bis zur Errichtung der Republik Syrien. Aleppo ist eine der ältesten ständig bewohnten Städte unserer Erde, wenngleich infolge des häufigen Herrscherwechsels auch eine der umkämpftesten. Worin besteht der Reiz dieser Stadt?

   Aleppo liegt in einer weiten Ebene, über der in etwa 50 m Höhe gebieterisch die mittelalterliche Zitadelle aufragt, deren Ursprünge viel älter sind als ihr heutiges Erscheinungsbild. Nie war die Stadt jedoch für längere Zeit Zentrum eines mächtigen Reiches, nie religiöser Mittelpunkt. Aleppo war stets das große Fernhandelszentrum im späteren  Grenzbereich zwischen abendländisch-mediterraner und islamisch-vorderasiatischer Welt, Aleppo bot nicht als Stadt einen wichtigen Markt, Aleppo  w a r  der Markt.

   Das trifft nicht zuletzt für das 12. Jahrhundert zu, die Zeit also, in der unser Bazarmodell einsetzt. Es war die Epoche der Zangiden von Mosul, die sich erfolgreich gegen die christlichen Kreuzfahrer zur Wehr setzten, die Stadt ausbauten und schmückten. Die Herrschaftszeit des Zangiden Nurredin (1146-1173) gilt als "Goldenes Zeitalter" Aleppos, das sich bis zur Eroberung der Stadt durch die Mongolen 1260 fortsetzte. Das war nur möglich aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs, der nicht primär durch Produktion, sondern durch Fernhandel gekennzeichnet ist.

   Wenn ich diese Epoche in den Vordergrund stelle, so hat das eine doppelte Berechtigung. "Aleppo gehört zweifelsohne zu denjenigen orientalisch-islamischen Städten, die sowohl in den

frühen Hochkulturen des Alten Orients als auch in der klassisch-antiken Mittelmeerwelt wurzeln. Seine unverwechselbare Prägung hat Aleppo aber erst in islamischer Zeit erfahren." (Eugen Wirth, Aleppo, 1984, S. 59). Zum zweiten ist diese Epoche von christlicher Seite gekennzeichnet durch die Kreuzzüge, die trotz aller kriegerischer Auseinandersetzungen auch die Zeit der intensivsten wirtschaftlichen und kulturellen Berührung zwischen Orient und Okzident darstellten. Gerade zu dieser Zeit und durch die Kreuzzüge ist Aleppo zur größten und wichtigsten Stadt des nördlichen Syrien geworden, gegenüber Damaskus im südlichen Teil.

   Ideologisch und machtpolitisch begründet stellte jene Zeit von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts jedoch nicht nur eine Aneinanderreihung militärischer Auseinandersetzungen dar, sondern einen Vorgang des Gebens und Nehmens von Ost nach West und umgekehrt. Diesem Geben und Nehmen in wirtschaftlicher wie kultureller Hinsicht standen die Kriege sogar deutlich im Wege. Kein Kaufmann liebt den Krieg, wenn seine Waren nicht gerade Waffen oder Sklaven sind, er begrüßt allenfalls den Krieger, der seine Handelswege sichert. Handel wie Kulturtransfer benötigen Toleranz.

   Typischer Ort einer solchen Begegnung ist der Bazar des Orients, der Suq, der zentrale Geschäftsbezirk, mit dem sich die islamisch-mittelalterliche Stadt von den Städten aller anderen geschichtlichen Perioden und Kulturkreise abhebt. Das gilt in besonderem Maße für Aleppo, wo der Suq in der Zeit von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis etwa 1500 seine prächtige Entwicklung erfuhr.

   Hier landete die Ware des Fernhandelskaufmanns an. Ebenso wurde die Produktion der Stadt und des Umlandes feilgeboten. Allerdings wohnte hier nicht der einheimische Kaufmann, denn sein Wohn- und Geschäftsbereich waren voneinander getrennt, ganz anders als in unseren mittelalterlichen Städten. Der auswärtige Händler jedoch fand hier Unterkunft für sich und seine Waren im Khan. Das geschah mitten in der Stadt, nicht etwa in abgetrennten Bereichen wie etwas später in den Kontoren der Hanse in London, Bergen oder Nowgorod. Da der Handel noch weitgehend warenbegleitend durch den Kaufmann stattfand, war ein buntes Völkergemisch anzutreffen. Denn die Fernhandelswege jener Zeit kannten bestimmte Routen, und Aleppo lag an einer besonders wichtigen, den armenischen und persischen Raum über Teheran bis hin ins ferne Kandahar und Kabul oder nach Buchara, Samarkand und Taschkent erschließend. Von Aleppo führte eine bedeutende Straße bis Izmir, damit in den östlichsten Mittelmeerraum, und der eigentliche Einschiffungsbereich war der Golf von Iskenderun mit seinen unter christlicher Herrschaft stehenden Levantehäfen.

   Die Waren beschränkten sich vor allem auf wichtige Rohstoffe und Luxusgüter, nur solche lohnten die weiten Transportwege. Aleppo exportierte nach Europa Baumwolle aus Syrien, Pfeffer und Indigo, persische Seide und Seidenwaren, Safran und Alaun. Im Gegenzug importierte es Edelsteine, Silber, Kupfer und Wolle sowie in erheblichem Umfang weiße Sklaven aus dem Kaukasus. Vor allem Venedig machte das Geschäft aufgrund eines zu Beginn des 13. Jahrhunderts erhaltenen, stets erneuerten Handelsprivilegs.

   Damit verbunden war ein Gewöhnungsprozeß der Christen an Muslime, der allerdings seine Zeit brauchte und immer wieder von Neuankömmlingen gestört wurde. Andererseits waren die Muslime bereit, den Christen ihre Lebensarten einschließlich ihrer Religion zu gestatten, bis hin zur Erlaubnis eines eigenen Rechtsraumes für die Venezianer in Aleppo. Denn in vielen Dingen fühlten sie sich den Christen überlegen, mit Recht.

   Das galt z.B. im technischen Bereich. Dietrich Lohrmann hat gerade im Katalog der Mainzer Ausstellung "Die Kreuzzüge" auf den technischen Fortschritt im Osten und dessen Transfer nach Europa hingewiesen, am Beispiel der Feinmechanik in Uhren und deren Übernahme und Weiterentwicklung in Europa. Ein weiteres Beispiel ist das medizinische Wissen und seine Anwendung: Der Standard des Hospitals in Bagdad im 13. Jahrhundert erstaunt immer wieder und ist im christlichen Raum - auch aus ideologischen Gründen - teilweise erst im 19. Jahrhundert erreicht worden. Und wie entzückt waren die Händler und Kreuzfahrer aus Europa, als sie zum erstenmal Rohrzucker schmecken durften, kannten sie bislang doch nur Honig als Mittel zum Süßen. Bis hin in den theologischen Bereich wirkte im 13. Jahrhundert der Einfluß: Gott schuf die Welt nicht mehr durch seinen Geist, er konstruierte sie vielmehr mit technischen Errungenschaften wie Lineal und Zirkel.

   Natürlich blieb die Kriegstechnik davon nicht unberührt. Die Tradition von der Erfindung des Schwarzpulvers in Deutschland ist wohl abgelöst durch die Kenntnis der älteren chinesischen und arabischen Pulvertechnologie, deren Auswirkungen sich im Burgenbau deutlich niederschlagen.

   Damit aber sind wir bei unserem zweiten Beispiel, Coucy. Wir wissen, daß acht Mitglieder der Eigentümerfamilie Enguerrand Kreuzzugsteilnehmer waren. Sie lernten die im Orient fortentwickelte Wehrtechnik kennen, der hier gezeigte Donjon entstand als überragendes Wehrelement ihrer Burg in den Jahren 1223-1225. Wenige Jahre später führte Kaiser Friedrich II. seinen Kreuzzug nach Jerusalem, der ihm 1229 die Hl. Stadt auf dem Verhandlungsweg einbrachte - so ganz anders, als man sich landläufig einen Kreuzzug vorstellte. Gerade in diesem Kaiser, normannisch-deutscher Abkunft, im Völkerschmelztiegel Palermo aufgewachsen, kristallisiert sich am besten die Symbiose von Orient und Okzident jener Zeit, eine Symbiose, die sich mit dem Absolutheitsanspruch einer christlichen Amtskirche so gar nicht vereinbaren ließ und dem Kaiser den zweimaligen päpstlichen Bann eintrug - hier kämpften nicht nur Kaiser und Reich gegen Papst und Kirche um die Vorherrschaft, hier kämpfte auch ein restauratives Amtschristentum gegen den ersten aufgeklärten Herrscher an der Nahtstelle von Orient und Okzident.

   Doch nachdem mit dem Tod Friedrichs II. das Deutsche Reich seine zentrale Stellung in Europa, die Christen 1291 ihre Positionen im Hl. Land verloren hatten, fanden wichtige politische Umwälzungen statt. Unter Johann von Luxemburg und seinem Sohn Karl, dem späteren Kaiser Karl IV., verlagerte im 14. Jahrhundert das Deutsche Reich sein Zentrum nach Böhmen. Gleichzeitig erstarkten Ungarn unter Ludwig von Anjou und Polen unter Kasimir dem Großen sowie das Deutschordensterritorium Preußen unter Winrich von Kniprode. Westeuropa schwächte sich im 100jährigen Krieg zwischen England und Frankreich, in dessen Anfangsphase 1339 die englische Belagerung der Burg Coucy in der gleichnamigen Herrschaft in der Grafschaft Valois, 30 km südlich von Laon, gehört - was die Kreuzfahrer im Hl. Land gelernt hatten, wandten sie hier nun an, bei Angriff wie Verteidigung. Dem englischen Vorgehen war kein wesentlicher Erfolg beschieden, der Krieg dehnte sich bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts aus. 

   Als sich mit dem Tod Friedrichs II. 1250 das europäische Machtgefüge auflöste und die Zentren verlagerten, ereilte auch Aleppo die Katastrophe: 1260 wurde die Stadt von den Mongolen erobert und zerstört, und als die ägyptischen Mamelucken dem mongolischen Vormarsch Einhalt geboten, bedeutete dies keine entscheidende Besserung: Die Randlage im mameluckischen Herrschaftsbereich, ständig neue Angriffe der Mongolen sowie in der Mitte des 14. Jahrhunderts die Pest und 1400 die Einnahme durch ein neues zentralasiatisches Heer hinderten den erneuten Aufschwung, der erst allmählich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts einsetzte, bis im 16. Jahrhundert unter osmanischer Herrschaft Aleppo zum wichtigsten Handelszentrum des östlichen Mittelmerraumes wurde.

   Coucy dagegen verlor seine Bedeutung, wenngleich noch der Brockhaus von 1898 die Ruinen der Burg "zu den schönsten Frankreichs" zählt. Geblieben ist jedoch die Verbindung zum Hl. Land: Renaud von Coucy, Hofdichter um 1200 und Kreuzzugsteilnehmer, ist Held des "Roman d'aventure" des Jacquemon Saquesep vom Beginn des 14. Jahrhunderts, der die Kreuzfahrerzeit wiederaufleben lässt und mit der französischen Minnedichtung verbindet. Wie in vielen anderen Bereichen, so war auch in der Literatur die Begegnung zwischen Orient und Okzident nicht mehr eliminierbar, sie gehörte fortan zu unserer Kultur, wenngleich viele historische Berührungsfelder heute erst wieder sichtbar gemacht werden müssen.

zum Referenten:

Studium der Fächer Geschichte, Osteuropäische Geschichte und Musikwissenschaften in Bonn. Promotion 1967 (Studien zur preußischen Historiographie des 16. Jahrhunderts), Habilitation 1975 an der Pädagogischen Hochschule Rheinland. Lehrstuhlvertretung 1978-1980 in Hannover, seit 1980 an der Universität Bonn als Professor für Mittelalterliche und Neuere Geschichte und Didaktik der Geschichte. 1992 Gastsemester an der Universität Thorn/ Toruń (Polen). 1974-1995 Vorsitzender der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, seit 1985 Präsident der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens. Veröffentlichungen vor allem zur preußischen Landesgeschichte und zur Deutschordensgeschichte in Europa vom 12. bis zum 20. Jahrhundert in verschiedenen europäischen Ländern. Herausgeber der „Einzelschriften“ und der „Tagungsberichte“ der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesgeschichte sowie der „Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens“.